2017 entschied sich Jacobus van Hoorne, seine Stelle als Teilchenphysiker am CERN aufzugeben, um den Schilfschneide- und Schilfdachdeckerbetrieb seines Vaters zu übernehmen. In seinen Jugendjahren hatte er in diesem Betrieb gearbeitet und dabei das Handwerk erlernt. Er zog mit seiner Familie von Genf ins Burgenland, erwarb ein Grundstück in einer Einfamilienhaussiedlung in Weiden am See und beauftragte den befreundeten Architekten Gilbert Berthold mit der Planung eines neuen Zuhauses für seine junge Familie.

Wünsche und Vorgaben der Bauherren
Das Design wurde von vier wesentlichen Anforderungen geleitet: 1) Das Haus sollte mit einem innovativen Schilfdach ausgestattet sein, das das Potenzial des Materials hervorhebt und seine modernen Interpretationsmöglichkeiten demonstriert. 2) Es sollte aus Holz und anderen umweltfreundlichen Materialien errichtet und mit minimalem Aushub realisiert werden. 3) Der Entwurf sollte einen zentralen Wohnraum umfassen, der großzügig und lichtdurchflutet ist, frei von Unordnung bleibt und sich zum nördlichen Garten hin öffnet. 4) Die restlichen Räume des Hauses sollten bewusst klein gehalten werden.
Die Umsetzung
Der Wohnraum ist als gedecktes, zweigeschossiges Atrium gestaltet, das über große Hebeschiebetüren an beiden Fassadenseiten belichtet wird und das Dach von innen erlebbar macht. Er ist von zwei geschlossenen Funktionsblöcken umgeben und um 45° gedreht, um das südöstliche Morgenlicht optimal einzufangen und einen direkten Zugang zum Garten zu ermöglichen. Der restliche Baukörper bleibt parallel zum rechteckigen Grundstück ausgerichtet, um die bebaubare Fläche zu maximieren, wodurch ein s-förmiger Grundriss entsteht. Vor den Hebeschiebetüren erstrecken sich großzügige Terrassen, die den Wohnbereich sowohl zur ruhigen Straße im Süden als auch zum Garten im Norden hin erweitern, sodass das Grundstück vor und hinter dem Haus nahtlos durch das Gebäude verbunden wird.
Das Dach wird von den Holzständerwänden in den Funktionsblöcken getragen und besteht aus parallel angeordneten Holzsparren mit einem Abstand von 90 cm. Diese verlaufen von der zentralen Firstachse zu den s-förmigen Trauflinien und spannen zwei einfach gekrümmte Dachflächen auf, die mühelos mit Schilf gedeckt werden können. Der Übergang von der bei Giebeldächern vorgeschriebenen 40°-Neigung zur Vertikalen erhöht die ästhetische Anziehungskraft sowie die Haltbarkeit des Daches – jeder zusätzliche Neigungsgrad verlängert die Lebensdauer des Schilfdaches um etwa ein Jahr. Die mit lokalem Schilf gedeckte Dachgeometrie bildet zusammen mit der hinterlüfteten, naturbelassenen Eichenholzfassade eine harmonische Materialkombination und verschmilzt den gesamten Bau zu einer besonderen und eleganten Gebäudeform.

Eine Frage des Brandschutzes
Der Dachaufbau wurde in enger Zusammenarbeit mit dem Schilfdachdecker entwickelt. Dabei kam van Hoorne sein Forschergeist an der Prüfanstalt für Brandverhalten in Wien zugute, wo nachgewiesen werden konnte, dass ein sachgemäß ausgeführtes Schilfdach nicht in Vollbrand gerät und aufgrund der extrem langsamen Brandausbreitung keine Gefahr für Nachbargebäude besteht. So konnte der neue Dachaufbau durch Realbrandversuche für die Baubewilligung freigegeben werden. Seitdem ist es behördlich einfacher, Gebäude mit Schilfdächern oder sogar Schilffassaden umzusetzen.

Die Mehrfachnutzung
Das Haus dient heute sowohl als Einfamilienhaus als auch als Studienobjekt für Schilfdachdeckungen und als Ausstellungsraum für den expandierenden Schilfdachdeckerbetrieb des Bauherrn. Es weckt gleichermaßen Interesse in Fachkreisen und öffentlichen Medien und wurde mit dem renommierten Bauherr:innenpreis 2024 ausgezeichnet.
Text: Arch. Gilbert Berthold Gilbert Berthold
Mehr dazu auch unter: Von der Teilchenphysik zum Schilfdecken
Absolut beeindruckender Beitrag! Das Einfamilienhaus mit Schilfdach ist ein echtes Highlight. Als Immobilienfotograf in Forchheim sehe ich oft Objekte, aber dieses hier ist architektonisch wirklich herausragend und verdient eine erstklassige Präsentation. Solche einzigartigen Details sind das, was eine Immobilie unvergesslich macht. Ich freue mich, immer wieder neue Inspirationen für meine Arbeit zu finden.